CW: Tod eines Elternteils
Wie ist es, mit 14 seine Mutter zu verlieren? Um es kurz zu machen: scheiße! Aber das ist sicher für niemanden eine Überraschung. Ich will trotzdem versuchen, das Ganze ein wenig ausführlicher darzustellen. Zum einen mache ich das für andere; damit sie es vielleicht etwas besser verstehen, damit sie die Zeit mit ihren Eltern besser nutzen, oder damit manche sich vielleicht auch wiedererkennen und sich weniger allein fühlen. Zum größten Teil schreibe ich das hier aber, damit ich es selbst verarbeiten kann. Ich habe schon einmal versucht, es aufzuschreiben, aber nicht die richtigen Worte gefunden. Jetzt, ein paar Jahre später, hoffe ich, dass es besser klappt… trotzdem kann ich garantieren, dass viel geschrieben und wieder gelöscht und wieder geschrieben wird, bevor ich diese finale Version poste.
Ich war 14 und es war Heiligabend. Ich war schon beinahe im Bett, als meine Mutter zusammengebrochen ist. Der Krankenwagen kam, der Notarzt sagte mir, dass alles wieder gut wird (daran erinnere ich mich noch gut), und sie nahmen meine Mutter mit ins Krankenhaus. Das Geschehen der nächsten paar Tage werde ich auslassen, es war durcheinander, und ich habe von dem meisten eh nur wenig mitgekriegt. Knapp zwei Wochen nach Neujahr ist meine Mutter dann gestorben. Es war ein Donnerstag. Mein Vater hat mich wie sonst auch für die Schule geweckt und es mir gesagt. Ich bin zur Schule und in den Unterricht, wie immer, und mein Vater hat meinen Lehrer:innen Bescheid gegeben. In den ersten zwei Stunden durfte ich dann während der Gruppenarbeit mit meiner Freundin zusammenbleiben. Was sonst passiert ist… Ich weiß es nicht genau. Auch die Tage und Wochen danach sind wie im Nebel, aus dem nur einzelne Ereignisse raus stechen (in keiner besonderen Reihenfolge).
Wir fahren zum Bestatter, weil ich darauf bestanden habe, meine Mutter nochmal zu sehen. Ob das eine gute Idee war, weiß ich bis heute nicht. Auf dem Rückweg läuft im Radio „Still“. Wer den Text kennt, wird vielleicht verstehen, warum ich das Radio ausmachen muss.
Meine Klassenlehrerin ruft unsere Klasse zusammen, um ihr zu sagen, was passiert ist. Was sie genau sagt, weiß ich nicht, ich bin nicht dabei. Später erfahre ich, dass die Klasse mich nicht darauf ansprechen soll, weil ich nicht darüber reden wolle (ob das so war, weiß ich nicht, weder heute noch damals).
Ich werde unter einem Vorwand aus der Klasse gelockt, damit die anderen die gemeinsame Trauerkarte unterschreiben können.
Die Trauerfeier. Ich sitze vorne links. Ich höre dem Pfarrer während der Trauerrede nicht zu, ich zähle stattdessen die Blätter an der Pflanze neben mir. Ich will nicht weinen, also reiße ich mich zusammen. Hinterher, draußen, kommen die Trauergäste zu uns, einer nach dem anderen, umarmen uns oder schütteln uns die Hände. Die meisten davon kenne ich gar nicht.
Dann ging mein Leben weiter. Irgendwie. Ich ging weiter zur Schule und das lenkte mich einigermaßen ab. Bis ich nach Hause kam. Früher war meine Mutter immer schon da, jetzt war ich auf einmal allein. Danach liegt das meiste wieder im Nebel. Ich weiß nur noch, dass ich immer mal wieder Heulkrämpfe in der Schule hatte und den Unterricht verlassen habe. Als wir in Religion über Tod und Sterben gesprochen haben, bin ich auch raus. Das gleiche als wir eine Veranstaltung zum Thema Verkehrsunfälle hatten, mit Plakaten auf denen Menschen erklärten, wie sie Angehörige in Unfällen verloren hatten (ich glaube zumindest, dass es so etwas war). In gewisser Weise ist es ein Paradox: mein Leben hatte sich verändert, eindeutig, und trotzdem lief es (erstmal) weiter wie gewohnt.
Wie mich das genau beeinflusste, merkte ich erst später.
Ich guckte keine Filme mehr, in denen jemand starb oder in denen es um Familie und die Mutter-Tochter-Beziehung im Speziellen ging (ganz vorne mit dabei Disney und Pixar), weil ich nicht an den Schmerz erinnert werden wollte.
Vorher guckte ich mir noch gerne „Say Yes to the Dress“-Videos auf YouTube an; jetzt hielt ich davon Abstand, weil ich wusste, dass ich so ein Ereignis (sollte ich jemals heiraten wollen) nie mit meiner Mutter würde erleben können.
Weihnachten hatte inzwischen immer einen bitteren Beigeschmack, und die ganze Werbung über glückliche Familien machte es nur noch schlimmer.
Der Abiball, wo ich unbedingt versuchte, mich davon abzulenken, dass ich die Einzige war, die nur mit ihrem Vater kommen konnte.
Ich werde meiner Mutter nie erzählen können, dass ich mein Abi bestanden habe, was ich studiere, oder davon sprechen, was ich in meinen Urlauben alles erlebt habe.
Jetzt ist der Moment, wo mir beim Schreiben die Tränen kommen. Und wie immer ist mein erster Instinkt, sie zu unterdrücken und mich abzulenken. So habe ich das immer schon gemacht, wenn auch oft bestimmt unbewusst. Es ging immer nur ums Weitermachen. Bis zu meiner Therapie habe ich mich nie wirklich mit dem Tod meiner Mutter auseinandergesetzt. Zum einen, weil es einfach nur weh tat und ich keinen Sinn darin sah, darüber zu sprechen. Zum anderen, weil ich sicherlich auch nicht wusste, wie. Ich fühlte mich allein und unverstanden, und ich wollte keine meiner Freundinnen in die Position zwingen, mich trösten zu müssen. Denn wie sollten sie das auch nur ansatzweise können? Ich will niemandem einen Vorwurf machen, aber im Nachhinein wünschte ich mir manchmal, dass mich irgendjemand zu einer Therapie ‚gezwungen‘ hätte (gezwungen ist ein hartes Wort, aber mir fällt kein Besseres ein). So hat sich alles angestaut, eins kam zum anderen, und Leben wurde immer schwieriger. Und das alles darf ich jetzt aufarbeiten. Man hat mir gesagt, es zeugt von sehr viel Stärke, dass ich das alles all die Jahre ausgehalten und weitergemacht habe. Objektiv stimme ich dem zu, aber es fällt mir schwer das anzunehmen, denn für mich war das einfach meine Realität.
Der Tod meiner Mutter ist dieses Jahr genau 9 Jahre her. Und auch wenn ich nicht mehr viel darüber nachdenke, tut es trotzdem immer noch weh. Ich würde ja sagen, es fällt mir leichter, darüber zu sprechen, aber das weiß ich nicht, denn ich spreche nie wirklich darüber. In diesem Text ist es das erste Mal, dass ich davon erzähle (außerhalb einer Therapiesitzung), und vielleicht hilft mir das schon ein bisschen, besser damit umzugehen. Mein größtes Problem damals war, dass ich mich unendlich allein und unverstanden fühlte… Und irgendwann vor ein paar Jahren hörte ich eher zufällig einen Podcast mit Prince Harry und er sprach offen über seine Gefühle nach dem Tod seiner Mutter, und ungeachtet unserer doch sehr verschiedenen Lebenssituationen konnte ich zu 100% verstehen, wovon er da redete! Das war das erste Mal, dass ich jemanden genau das sagen hörte, was ich gefühlt habe, und genau das half mir! Nicht mit meinen Problemen, aber zu wissen, dass ich nicht allein damit war und dass meine Gefühle ‚normal‘ waren. Ich hoffe, dass dieser Beitrag vielleicht in ähnlicher Art und Weise anderen dabei hilft, sich nicht allein und verloren zu fühlen, denn das seid ihr nicht!
Meine Tränen sind inzwischen auch wieder getrocknet und ich muss sagen, das Schreiben war leichter als gedacht. Noch zwei persönliche Sachen zum Abschluss:
- Bitte nutzt die Zeit mit euren Eltern! Ich weiß, für manche ist das selbstverständlich und manchen ist auch bewusst, dass die Zeit wertvoll ist. Hier nur noch mal der Hinweis von jemandem, der nicht genug Zeit hatte.
- Wenn ihr eine Person verliert, sucht euch bitte Hilfe (Familie, Freund:innen, Therapeut:innen), um das Trauma zu verarbeiten! Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ignorieren und wegpacken längerfristig nicht funktioniert und auch nicht gesund ist! Ich weiß, dass es wehtut, aber es wird helfen! Ich könnt und müsst das nicht allein durchmachen!
Anlaufstellen zum Thema “Trauer” in Bielefeld: