Wie es ist… aromantisch zu sein (Teil 2)

Wie stellst du dir die Zukunft vor?

Das ist eine interessante Frage, die mich vor allem in letzter Zeit mehr beschäftigt hat. Und die ehrliche Antwort ist: ich weiß es nicht. Was aber auffällig ist…, wenn ich früher über die Zukunft nachgedacht habe (und dabei gelegentlich Panik geschoben habe), habe ich nie zuerst an Beziehungen gedacht, sondern eher an meinen Beruf oder wo und wie ich mal wohnen werde. Erst in letzter Zeit, als ich mich mehr an meine Orientierung gewöhnt und mich damit auseinandergesetzt hatte, ist mir aufgefallen, wie grundsätzlich anders (im Vergleich zu der traditionellen Route) mein erwachsenes Leben aussehen wird. Keine romantische Beziehung, keine Verlobung, keine Hochzeit, keine Kinder (die ich auch sonst nicht wollen würde, glaube ich).

Eine andere Frage, die in eine ähnliche Richtung geht, war, ob ich mir jemals eine Beziehung vorstellen könnte oder haben wollen würde. Ich habe ja eben schon genauer definiert, dass ich keine romantische Beziehung möchte, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Es gibt allerdings etwas, das sich queer-platonische Beziehungen nennt: also etwas, das über reine Freundschaft hinaus geht, aber nicht als romantisch zu sehen ist. Das Konzept ist für mich auch relativ neu, und deswegen kann ich nicht sagen, ob das etwas für mich wäre. Vielleicht ja, vielleicht werden mir auch einfach „nur“ enge Freundschaften reichen.

Hast du das Gefühl, dass dir etwas fehlt?

Meistens nicht. Aber wenn ich dann an die Zukunft denke, fällt mir auf, was mir fehlt. Nicht die Romantik und der ganze Kram. Sondern diese eine besondere Person (die für meisten wohl der/die romantische Partner*in sein wird). Die Person, mit der man Dinge teilt (nicht unbedingt das Bett oder die Wohnung, sondern Erlebnisse). Die Person, die sich um mich kümmert, die sich für mich verantwortlich fühlt, für die ich eine Priorität bin. Ich weiß, dass das auch Freunde sein können (oder halt eine queer-platonische Beziehung), aber ich merke, dass ich immer noch so konditioniert bin, romantische Partner*innen über Freundschaften gestellt sind. (Das nennt man übrigens Amatonormativität, ein sehr interessantes Konzept!) Ich bin gerade in der Phase, zu verstehen, wie ich das Ganze sehe und damit umgehe, und wie ich meine Freundschaften betrachte. Ich versuche für mich zu akzeptieren, dass man keine romantische Beziehung braucht, aber ich glaube, ich brauche dafür noch einige Zeit.

Stört es dich, „anders“ zu sein?

Die Frage habe ich wortwörtlich so übernommen; man habe versucht, es vorsichtig zu formulieren, deshalb auch die Anführungszeichen schätze ich mal. Ich finde die Frage nicht schlimm oder abwertend oder beleidigend oder wie auch immer man sie sonst noch wahrnehmen könnte. Einfach, weil sie es auf den Kopf trifft. Ich bin anders. Punkt. Stört mich das? Ja, manchmal. Meistens bin ich mit mir selbst zufrieden, zumindest was meine Orientierung angeht. Ich werde von allen um mich herum akzeptiert und eigentlich ist es nie ein Thema, heißt, ich mache mir meistens keine weiteren Gedanken darüber. Aber manchmal eben denke ich doch eben darüber nach, gerade am Anfang häufiger. Dann frage ich mich, warum ich so bin. Ob ich vielleicht doch kaputt bin. Wie mein Leben aussehen soll. Dass es vielleicht leichter wäre, wenn ich „normal“ wäre. Dass so mein Leben noch komplizierter ist als sowieso schon. Und dann fühle ich eine komische Mischung aus Traurigkeit, Frustration und Resignation. Weil ich weiß, dass ich es nicht ändern kann. Aber dann fällt mir auch auf, dass ich es nicht wirklich ändern will. Es ist merkwürdig, anders zu sein, wenn es immer noch ein gesellschaftliches „normal“ gibt. Was mich zur nächsten Frage bringt:

Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft von dir erwartet, eine romantische Beziehung haben zu müssen?

Jein.

Nein, da ich die Erwartung nicht direkt merke. Wie bereits erwähnt – aber ich will immer wieder betonen, wie toll die Menschen um mich herum sind! – kriege ich in meinem Umfeld nur Verständnis entgegengebracht und werde zu nichts gedrängt oder ausgefragt. Es ist halt wirklich kein großes Thema.

Auf der anderen Seite, ja, aus dem einfachen Grund, dass es immer noch die Norm zu sein scheint, eine romantische Beziehung zu haben. Insoweit ist die Erwartung spürbar, als dass etwas anderes ja gar nicht sichtbar ist. Egal, wo man hinguckt, Filme, Serien, Bücher, sogar Werbung, meistens geht es doch immer um irgendwelchen Liebeskram: die erste große Liebe, gescheiterte Beziehungen, Hochzeiten, Liebesdreiecke, etc. Dass manche Menschen sowas nicht haben wollen bzw. es sich auch gar nicht vorstellen können, scheint so absurd, dass man es noch nicht einmal als Möglichkeit betrachtet. Und wenn man Single ist, und sei es gewollt, kommen die Vorurteile, man wäre einsam, zu pingelig, hätte zu hohe Ansprüche und wäre allgemein unglücklich.

Also ja, auch wenn ich die Erwartung nicht direkt spüre und mich davon zum Glück auch nicht beeinflussen lasse…, dass eine romantische Beziehung quasi als Muss und Notwendigkeit betrachtet wird ist unübersehbar! (Und noch einmal, wen das interessiert, das Stichwort heißt Amatonormativität bzw. amatonormativity im Englischen!)

Kannst du romantische Beziehungen bzw. romantisches Verhalten nachvollziehen?

Nein, kann ich nicht. So gar nicht. Null. Ich habe keine Ahnung, wie es ist sich zu verlieben oder verliebt zu sein oder wie sich Schmetterlinge im Bauch oder ein Crush anfühlen. Ich habe Freunde danach gefragt, aber natürlich ist Liebe ein abstrakter Begriff und auch, wenn sie sich Mühe gegeben haben, es mir irgendwie zu erklären, bleibt es trotzdem schleierhaft für mich. Ich sehe es so, dass ich es objektiv verstehen kann, aber subjektiv nicht. Ich weiß, wie Liebe und Romantik in Büchern und Filmen dargestellt werden, ich kenne die Sätze und Sprichwörter und könnte die wiedergeben (z.B., wenn ich über eine Beziehung schreiben müsste), aber es wäre unpersönlich, ich hätte keinerlei Verbindung dazu. Das führt auch dazu, dass mir manchmal das Mitgefühl fehlt, wenn zum Beispiel eine Beziehung scheitert, weil ich es eben nicht verstehe, wie sich das anfühlt.

Weil ich es eben nicht verstehe, finde ich es sehr frustrierend, mit Liebe und romantischen Beziehungen konfrontiert zu sein. Deswegen halte ich mich, soweit das geht, von allen Medien mit dem Schwerpunkt Romantik fern, was nicht sehr leicht ist, da… naja, das habe ich ja oben schon erklärt.

Wie ist es für dich, wenn du im Freundeskreis romantische Beziehungen miterlebst?

Ich finde es komisch. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass andere Leute romantische Beziehungen haben, aber gerade am Anfang war es sehr verwirrend. Ich weiß nicht, wie andere das wahrnehmen, aber ich sehe meine Freunde nicht als jemanden in einer romantischen Beziehung. Ich kann mir das bei ihnen nicht vorstellen, weshalb es dann immer ein kleiner Schock ist, wenn meine Freunde in Beziehungen sind bzw. danach suchen. Ich hoffe, das ist einigermaßen verständlich. Früher fand ich die Idee immer etwas abstoßend, aber ich glaube, das hing mit meinem Unverständnis bezüglich romantischer Beziehungen zusammen. Inzwischen bin ich eher neugierig, wie diese Beziehungen aussehen; inzwischen fühle ich mich bei manchen Freunden wohl genug, um einfach mal zu fragen. Es ist absolut nicht böse gemeint, aber manchmal fühle ich mich dabei wie ein Wissenschaftler mit einem Versuchsobjekt, wobei es umgekehrt wahrscheinlich genauso ist!

Was ist, wenn jemand Interesse an dir zeigt?

Gute Frage… Das ist mir erst einmal passiert, und das war, bevor ich Aromantik überhaupt kannte. Ich habe mich unwohl gefühlt, aber damals dachte ich, es lag einfach an der anderen Person und weil wir nicht viel gemeinsam hatten. Heute weiß ich, dass es an der Situation allgemein lag.

Zuerst einmal wäre ich mir noch nicht einmal sicher, ob bzw. wann ich merken würde, dass jemand Interesse an mir hat. Ich habe dabei immer Sorge, dass ich direkt mehr hineininterpretiere als da ist und ich deshalb wahrscheinlich zögern würde, direkt zu sagen, was Sache ist. Sollte es jedoch offensichtlich sein… keine Ahnung, ich würde mich wohl sehr unwohl fühlen, weil ich nicht weiß, wie man mit sowas umgeht. Vielleicht würde ich einfach sagen, dass ich kein Interesse habe… Aber ich denke, die Antwort auf die Frage wäre wirklich: keine Ahnung! Ich werde es lernen, sollte es mal so weit sein.


Hier werde ich jetzt mal einen Schlussstrich ziehen. Es gab tatsächlich noch mehr Fragen, auch wenn die meisten davon sich irgendwie mit anderen Fragen überlappen. Ich habe versucht, die Fragen, die ich am wichtigsten und interessantesten halte, alle zu erwähnen und zu beantworten. Ich sage, versuchen, da es sich doch schwieriger gestaltet hat als gedacht. Wie vielleicht auch schon in meinen Antworten zu sehen ist, bin ich noch weit entfernt davon, alles zu verstehen. Ich möchte mich hier auch entschuldigen, wenn der Text etwas durcheinander wirkt und manches auch vielleicht keinen Sinn ergibt. Das ist zwei Dingen geschuldet: zum einen wollte ich, dass dieser Text persönlich wird; sprich, kein akademisches Niveau, sondern (fast) ungefiltert runtergeschrieben. Zum anderen liegt es auch an der Natur der romantischen Orientierung: es ist nicht stringent, sondern verwirrend und durcheinander, und das in Worte zu fassen ist schwierig!

Wie am Anfang erwähnt, war der Text auch dazu gedacht, mich selbst besser zu verstehen, und ich denke, das hat geklappt. Durch die Fragen war ich gewissenermaßen gezwungen, intensiver darüber nachzudenken, wie ich zu Aromantik stehe und was es für mich bedeutet. Das hat neue Probleme und Fragen für mich aufgeworfen, aber auch geholfen, mir über einiges klar zu werden.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Dinge erwähnen.

Erstens möchte ich mich von Herzen bei allen bedanken, die hierfür Fragen beigesteuert haben, und die sich auch wirklich Gedanken über die Fragen gemacht haben! Danke! Es ist kitschig, aber ohne eure Hilfe und Unterstützung wäre dieser Text so nicht zustande gekommen!

Zweitens eine Art Disclaimer. Die eigene Orientierung – sei es sexuell, romantisch oder Gender – ist immer persönlich! Jeder hat eigene Erfahrungen oder Definitionen! Dies hier sind meine, und ich möchte auf keinen Fall für andere sprechen! Sollten sich manche trotzdem hier wiederfinden, dann freut es mich!
Drittens, und am wichtigsten!
Es fällt mir gerade schwer in Worte zu fassen, was ich eigentlich ausdrücken will, aber ich denke, ich möchte noch Folgendes sagen: Ich hoffe, der Text hilft. Denjenigen, die Aromantik nicht kennen und/oder verstehen. Denjenigen, die sich unsicher sind hinsichtlich ihrer Orientierung. Denjenigen, die sich sonst ungesehen, unverstanden und allein fühlen.

Aromantik ist ein noch unbekanntes Thema mit viel zu wenig Literatur und Ressourcen. Ich will nicht arrogant oder überheblich klingen, aber ich hoffe, mein Text kann dazu beitragen Aromantik etwas sichtbarer zu machen!