Mein Weg zur Therapie – Erfahrungsbericht 3

Mein mentaler Tiefpunkt kam mit der Recherche für meine Bachelorarbeit. Hier sammelten sich alle berufsbezogenen Zweifel in mir, die mich immer am stärksten belastet haben: „Mache ich das nach dem Studium und wenn nicht, was dann? Bin ich diesen Anforderungen gewachsen? Die werden merken, dass ich das nicht wirklich kann und werden genervt von mir sein! Alle um mich herum machen so krasse Dinge und sind so viel besser!“.

Ja, Konkurrenzdenken liegt mir, vor allem, um mich damit abzuwerten. Kein Wunder also, dass ich zehn Minuten nach dem Lesen eines Textes mich immer wieder weinend vorfand. Auch mein Freund war vom ständigen Auffangen meiner Emotionen am Ende und meinte „Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Therapie“. Er war wegen anderen Dingen schon seit einem halben Jahr bei der Therapie und erzählte immer wieder, wie gut es ihm tat, mit einer unbefangenen Person, der er vertraut, seine Erlebnisse zu reflektieren und wie stark sich sein Denken verändert hatte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir selbst gesagt „Ja, das klingt echt toll, irgendwann möchte ich auch mal eine Therapie machen, das könnte mir sicher auch gut helfen.“, aber nun merkte ich „F*ck, ich krieg´s allein auch gar nicht hin“.

Mein Freund ermutigte mich, mir ein paar Tage Auszeit von der Bachelorarbeit zu nehmen und schickte mir danach den Link für Psychotherapeut*innen in Bielefeld. Der Link führte zur Seite des Arbeitskreises niedergelassener psychologischer Psychotherapeut*innen e.V.. Mir wurde geraten von hinten oder der Mitte aus zu beginnen, da Viele vorne in der Liste starten und meine Chancen auf freie Plätze somit höher wären. Um nicht gleich vom Überangebot der Therapeut*innen überfordert zu sein, filterte ich nach Frauen, da ich das Gefühl hatte, ich würde mich von diesen besser verstanden fühlen und übersprang Kinder- und Jugendpsycholog*innen sowie alle Praxen, die von der Lage nicht passten und keine Kassenzulassung besaßen. Auf die Art der Therapie wollte ich mich noch nicht festlegen, später zeigte sich, dass die verschiedenen Therapieformen auch nicht klar voneinander abgrenzbar sind und es viel auf die persönliche Herangehensweise des*der jeweiligen Therapeut*in ankommt. Ich begutachtete bei allen in Frage kommenden Therapeutinnen die Therapieschwerpunkte und kategorisierte sie für mich als sehr bis recht stimmig oder sortierte sie aus. So machte ich weiter, bis ich Telefonnummern von fünf Lieblingstherapeutinnen, fünf Alternative und fünf Therapeutinnen, falls die anderen alle keine Klient*innen aufnehmen sollten, bereit liegen hatte, bei denen ich versuchen wollte, einen Termin für ein erstes Gespräch zu erhalten.

Da auf den Unterseiten der app-Seite meist keine Sprechstundenzeiten angegeben waren, musste ich direkt unter der Nummer anrufen, um vom Anrufbeantworter zu erfahren, wann die jeweiligen Sprechstundenzeiten sind, die ich in einer Liste festhielt. Dies war zwar etwas umständlich, hatte allerdings den netten Effekt, dass ich weniger Angst vor dem Anruf hatte, weil meist ohnehin nur eine Maschine mit mir sprach und wenn zufällig doch die Therapeutin selbst am Telefon war, war ich halt schon in der Situation. Meine größte Angst war, dass ich der Therapeutin „beweisen“ muss, wie schlecht es mir geht, damit ich einen Therapieplatz bei ihr „verdient“ hätte. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass den Therapeutinnen bewusst ist, dass man aufgeregt ist, spontan manchmal nicht die richtigen Worte findet und man auch als psychisch stark belastete Person gute Tage haben kann. Ich begann immer mit „Nehmen sie noch Klient*innen auf?“ oder „Kann ich bei Ihnen ein Termin für ein erstes Gespräch vereinbaren?“. Die Therapeutinnen fragten empathisch, worum es „ungefähr ging“ oder „welche Sorgen gerade am akutesten wären“, um abzuwägen, ob sie mit ihrem Fachwissen für die Thematik geeignet wären. Hier ist es vielleicht hilfreich, sich im Vorhinein ein paar Sätze zurechtzulegen, was man in der Therapie angehen und wie weit man am Telefon ausholen möchte.

Bis auf Eine (sie schien sehr gestresst) waren die Therapeutinnen sehr mitfühlend. Leider mussten jedoch einige bereits zu Beginn einen Ersttermin ablehnen bzw. konnten keine darauffolgenden regelmäßigen Termine innerhalb der nächsten 3 Monate anbieten und verwiesen sehr unterstützend auf Kolleg*innen. Meine Bachelorarbeit sollte allerdings in wenigen Monaten abgeschlossen sein, deshalb war ein gewisser Druck vorhanden. Nach einer Woche herumtelefonieren (man muss ja erst einmal alle zu ihren Sprechzeiten erwischen), sagten mir schließlich drei sehr nette Therapeutinnen für ein Erstgespräch innerhalb der folgenden zwei Wochen zu. 

Bei der ersten Sitzung war ich ziemlich nervös, ich wusste ja gar nicht wie man sich verhält bei einer Therapeutin, mein innerliches soziales Chamäleon war aufgeschmissen, bis ich merkte „Moment mal, hier geht es ja um mich und meine Gefühle und vielleicht zum ersten Mal nicht um Erwartungserfüllungen …“. In dieser Ansicht bestärkte mich auch jede Therapeutin, die mir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gaben, ich würde sie nerven oder wäre bei der Therapie fehl am Platz. Damit war mir meine größte Angst genommen, denn auch die Therapeutin allein entschied, ob bzw. welche Therapie in Frage käme, ohne, dass ich bei einem*einer zusätzliche*n Ärzt*in vorstellig werden müsste.

Der Therapieraum, der angenehm hell und mit abstrakten Malereien und interessanten psychologischen Modellen behängt. Ich fühlte mich sehr wohl und die Therapeutin ging einfühlsam auf mich ein und stellte Fragen, um eine Idee davon zu erhalten, was bei mir gerade so los ist und was davon mich individuell belastet. Sie war auch eher zurückhaltend und sehr respektvoll, was mich etwas hemmte, selbst laut und ausufernd zu sein. Nichtsdestotrotz konnte ich mir die Zusammenarbeit sehr gut vorstellen und wir verblieben so, dass ich mich innerhalb einer Woche für einen weiteren Termin melden oder absagen sollte. Ich ging erleichtert aus dem Gespräch und freute mich darauf zu sehen, wie die anderen Therapeutinnen wohl sein würden.

Die zweite Therapeutin war auch verständnisvoll, allerdings von der Kommunikationsweise etwas harscher. Sie unterbrach mich gelegentlich und provozierte auch mal mit einer gewagten Annahme. Ich kann mir vorstellen, dass es für manch andere Personen einschüchtern o.Ä. wirken könnte, aber ich spürte, dass ich diese Art von Widerstand brauchte, an dem ich mich reiben konnte, um meinen Gefühlen nachgehen zu können. Von daher passte es für mich sehr gut. 

Die dritte Therapeutin war noch jünger, vielleicht Mitte 30 und ging sehr strukturiert vor. Vielleicht ist es etwas oberflächlich, aber ihre Art zu sprechen und ihr Auftreten erinnerte mich an Personen, mit denen ich nie viel anfangen konnte, obwohl sie sehr nett war. Aber genau darum geht es bei der Auswahl der*des Therapeut*in: Therapeut*innen sind so individuell, wie du es bist, und du musst deine*n Therapeut*in finden, die*der zu dir passt! Somit ist es egal, wie banal die Gründe sind, warum du eine*n Therapeut*in magst oder nicht magst, du musst dich wohlfühlen und vertrauen können, damit du dich in der Therapie fallen lassen und dich in diesem „safe space“ selbst erkunden kannst.

Nach einer zweiten Probesitzung bei der ruhigeren und der harscheren Therapeutin entschied ich mich für die Harschere und sagte den anderen beiden etwas beschämt ab, da ich Angst hatte, sie würden sich beleidigt fühlen. Das Gegenteil war der Fall: Sie waren beide sehr verständnisvoll und bekräftigten, dass ich sicherlich eine gute Entscheidung getroffen hätte, und wünschten mir alles Gute.
Der weitere Papierkram durchlief unter Anleitung meiner Therapeutin, ich selbst musste eigentlich nichts weiter beachten.

Das Ganze ist nun ein knappes Jahr her und letztens wurde meine Akutbehandlung (12 Sitzungen) zu einer Kurzzeittherapie (weitere 12 Sitzungen) verlängert. Die Bachelorarbeit ist geschafft und meine Gefühlslage hat sich mehr stabilisiert denn je. Alles in allem fühle ich mich durch die Gespräche mit einer Therapeutin sehr viel resistenter gegenüber äußerer und innerer Kritik, was mir erlaubt mit ihr nun auch tiefer liegende Belastungen tiefgreifend anzugehen. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie ich mich in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln werde und wie es mein Leben verändern wird. Aber hier sind jede Herangehensweise und selbst gesteckte Ziele absolut individuell und müssen gar nicht mit meinen übereinstimmen.

Vielleicht konnte ich dich mit meinem Erfahrungsbericht inspirieren und durch die detaillierte Beschreibung die ein oder andere Angst nehmen, die ich auch hatte. Egal welchen Weg du gehen magst, ich wünsche dir viel Erfolg und alles Gute sowie Menschen, die dich bei der Erreichung deiner Ziele unterstützen!


Infobox

Anträge für die Krankenkasse etc. füllen die Therapeut:innen entweder mit euch gemeinsam oder für euch aus. Also keine Angst vor dem Papierkram,

Weiterführende Links und Telefonnummern:

Grüne Seiten – Webseite um Therapeut:innen zu finden

Psychotherapeutische Ambulanz Uni Bieleld

Zentrale Studienberatung

Krisentelefon: Mo-Fr 18-7:30 Uhr| Wochenende und Feiertage rund um die Uhr

Telefon: 0521 3299285

Sozialpsychiatrischer Dienst der Stadt Bielefeld – Hilft in akuten Krisensituation und vermittelt in weiterführende Behandlungs- und Therapieangebote