Eigentlich müsste ich gerade an meiner Bachelorarbeit schreiben. Aber… ich prokrastiniere. Dieses Problem kennen wahrscheinlich viele Studierende. Ob Studienleistung, Texte lesen, für eine Klausur lernen, Hausarbeiten schreiben. Man könnte direkt damit anfangen… oder die Fenster putzen. Die Blumen möchten auch ein größeres Zuhause haben, also müssen die erst umgetopft werden. Oh, die Spülmaschine ist fertig, da muss ich hingehen, denn das kann ja nicht warten. Okay, jetzt nur noch eine Folge und dann fange ich an. Es gibt unendliche viele Möglichkeiten, um Aufgaben, die dringender und wichtiger sind, aufzuschieben. Unendlich viele Möglichkeiten und fast ebenso viele individuelle Gründe, warum man prokrastiniert.
Jedes Semester fängt bei mir gleich an: „Dieses Semester wird alles besser, ich werde direkt mit meinen Aufgaben anfangen und nicht aufschieben!“ Und während ich mir das sage, weiß ich, es ist eine Lüge. Eine Lüge, die ich mir immer wieder aufs Neue erzähle. Die ersten drei, vier Wochen im Semester funktionieren dann meist auch ganz gut, aber wenn es dann an das Lernen für eine Klausur geht, oder ich mit den verhassten Hausarbeiten anfangen muss, falle ich in alte Verhaltensmuster zurück. Ich schiebe auf. Und dann schiebe ich weiter auf, und weiter, und weiter…
Irgendwann kam der Tag, an dem ich so viele Hausarbeiten und Klausuren aufgeschoben hatte, dass ich einfach nicht mehr weiterwusste. Doch eines wusste ich: Allein komme ich aus diesem Teufelskreis nicht mehr heraus. Ich sprach mit Freund*innen und ging zur ZSB. An dieser Stelle ein großes Dankeschön, denn meine ZSB-Beraterin hat mir viel mehr geholfen, als sie vielleicht ahnt, und tut es heute noch.
Die größte Erleichterung für mich: Ich bin mit dem Problem nicht allein. Viele Studierende haben das gleiche Problem und die Unterstützung, die man sich gegenseitig geben kann, ist unbezahlbar. Ich habe angefangen, mich selbst zu reflektieren, warum ich eigentlich aufschiebe, denn nur so kann ich meinen persönlichen Umgang damit finden.
Hier sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich auf dreierlei Arten prokrastiniere, die fließend ineinander übergehen können.
Am Anfang des Aufschiebens bin ich noch hochmotiviert und sehr produktiv. Ich erledige viele Dinge, die zum Teil auch wichtig sind, aber eindeutig nicht dringend – und meistens nichts mit der Uni zutun haben. Wohnung, Fenster, Backofen putzen, Blumen umtopfen, … Wenn ich ehrlich bin, sieht meine Wohnung am Anfang des Prokrastinierens so sauber und gut aus, wie sonst nie. Oder ich erledige andere Uniaufgaben, die nicht wichtig sind.
Die erste Phase geht fließend über in eine andere produktive Phase. Allerdings sind diese Aufgaben weder wichtig noch dringend. Ich gehe meinen Hobbies nach und stecke ganz viel Zeit ins Malen, Basteln, Nähen oder Pen and Paper-Charaktere konzipieren. Ja, Hobbies sind wichtig. Ja, Freizeit ist wichtig, ABER es sollte Freizeit bleiben und nicht die eigentlichen Aufgaben überschatten.
Am Ende kommt die dritte und für mich persönlich schlimmste Phase: Mittlerweile habe ich die wichtigen und dringenden Aufgaben so weit nach hinten geschoben, dass es entweder schon fast zu spät ist, beispielsweise mit dem Lernen anzufangen, oder dass ich mich schäme, überhaupt noch meinen Dozierenden unter die Augen zu treten, bei denen ich schon ein wenig länger eine Hausarbeit abgeben wollte/sollte. Ab diesem Zeitpunkt verkrieche ich mich eigentlich nur noch in meinem Bett, ziehe mir die Decke über den Kopf und schaue den ganzen Tag irgendwelche Serien und/oder scrolle völlig wahllos durch den Instagram-Feed.
Es kostet mich unendlich viel Kraft, mich aus dieser Phase selbst wieder herauszuholen. Und oft schaffe ich das auch nicht allein. Ich bin froh, dass ich über die ZSB und das Peer-Learning Studierende kennengelernt habe, die das gleiche Problem haben, denn die sind für mich eine sehr große Stütze, um den Teufelskreis zu durchbrechen.
Prokrastinieren kann bei mir viele Gründe haben:
Die Aufgabenstellung ist diffus oder einfach zu groß
Wenn ich eine klare, recht überschaubare Aufgabenstellung habe – beispielsweise eine klare Fragestellung zu einem speziellen Text mit einem festgelegten Umfang – und dazu noch eine ganz klare Deadline in nicht allzu ferner Zukunft (drei Wochen sind bei mir das Maximum), dann habe ich weniger Probleme mit dem Aufschieben.
Aber je unklarer die Aufgabe und je weiter weg die Deadline (mein Lieblingssatz diesbezüglich, gehört am Anfang meines Studiums: „Naja, spätestens wenn Sie Ihren Bachelor machen wollen, sollten Sie die Hausarbeit abgeben.“), desto wahrscheinlicher ist es, dass ich aufschiebe. Je weiter weg die Deadline, desto weniger kann ich mich selbst motivieren. Ich habe also erkannt, dass ich recht strikte und eng gefasste Deadlines brauche.
Doch die allein helfen mir nicht. Es nützt mir nichts, wenn ich weiß, dass ich eine Hausarbeit zu dem und dem Tag abgeben muss, wenn meine Aufgabenstellung bedeutet: Schreibe eine Hausarbeit. Das ist für mich zu diffus und ich schiebe auf, weil ich nicht genau weiß, wo ich überhaupt anfangen soll. Und da beginnt wieder der Teufelskreis des Prokrastinierens – Hallo, Backofen, du müsstest unbedingt mal gereinigt werden!
Nachdem ich erkannt habe, dass ich sowohl Deadlines als auch klar umrissene Aufgabenstellungen brauche, habe ich mit dem Bullet Journaling angefangen und verschiedene Schreib-und Lerntechniken ausprobiert. Außerdem habe ich eine sehr, sehr liebe Freundin, die mich darin unterstützt, meine selbst festgelegten Deadlines einzuhalten. Mit ihr bespreche ich auch, was ich bis dahin genau machen möchte. So habe ich nicht nur eine Deadline, sondern auch eine klar umrissene Aufgabenstellung. Ich zerlege mir eine große Aufgabenstellung in ganz, ganz, ganz viele kleine, für die ich mir eine maximale Arbeitszeit von zwei bis drei Wochen gebe. Auch das Besprechen meiner selbst gestellten Aufgaben hilft mir, eventuelle Unklarheiten aus dem Weg zu räumen.
Außerdem versuche ich, einen engeren Kontakt zu meinen Dozierenden zu haben. Viele von ihnen wissen von meinen mentalen Problemen und meinem Problem mit dem Aufschieben. Und ich habe sehr viel Glück, dass ich viel Unterstützung von ihnen erfahre und sie mit mir gemeinsam daran arbeiten, dass ich meine Hausarbeiten (die sind mein größtes Problem) schaffen kann, auch wenn es bei mir länger dauert und oft Umwege geht.
Versagensangst und Perfektionismus
Die oben genannten Gründe waren recht schnell ausgemacht und können auf recht einfachem Wege in den Griff bekommen werden. Dennoch prokrastiniere ich. Ich kann noch so viele Methoden nutzen, mir noch so kleine Aufgabenstellungen geben, dennoch prokrastiniere ich. Und das zu einem Zeitpunkt, der absolut widersinnig erscheint. Ich prokrastiniere dann, wenn die Aufgaben kurz vor dem finalen Abschluss stehen. In einem meiner schlimmsten Momente habe ich eine fertige und korrigierte Hausarbeit von 25 Seiten unwiederbringlich gelöscht, anstatt sie einfach meinem damaligen Dozenten zu schicken. Und ich habe ihm auch nie eine fertige Hausarbeit geschickt. Stattdessen bin ich in ein Loch gefallen und habe mir meine Decke über den Kopf gezogen. Die einzigen Gefühle, die ich da noch hatte, waren Scham, Verzweiflung und, wie ich mittlerweile erkannt habe, Versagensangst. Und diese Versagensangst in Kombination mit meinem Wunsch nach Perfektionismus sind für mein Studium ein toxisches Gebräu. Zum einen werde ich niemals den Punkt erreichen, dass ich eine Arbeit als perfekt ansehe. Zum anderen habe ich Angst, eine Arbeit abzugeben, die nicht perfekt ist. Die Vorstellung, dass meine Dozierenden dann schwarz auf weiß lesen, dass ich einfach nicht gut genug bin und vielleicht nicht einmal studieren sollte, zwingt mich dazu, immer mehr nach Perfektion zu streben, die ich aber nie erreichen kann, sodass sie wieder sehen, dass ich einfach nicht gut genug bin.
Dieses Gedankenkarussell dreht sich unterbewusst in meinen Kopf und beeinflusst jede meiner Handlungen. Und behindert mich. Es steht mir im Weg und lässt mein Ziel in unendlich weite Ferne rücken. Es lässt mich aufschieben, da ich nie das Stadium erreiche, in dem ich mit meiner Leistung so zufrieden bin und mir sagen kann: Ja, das ist eine gute Leistung und ich habe keine Angst davor, dass meine Dozierenden mich für dumm und unzulänglich halten.
An dieser Stelle hätte ich aufgeben können. Ich hätte mein Studium abbrechen können. Aber das habe ich nicht getan. Stattdessen kämpfe ich jeden Tag aufs Neue mit dem Gedankenkarussell und habe mittlerweile, auch dank der Unterstützung von Familie, Freund*innen, Kommiliton*innen und Dozierenden, erkannt, dass ich zwar nicht die perfekten Leistungen abliefere, ich das aber auch gar nicht muss. Ich muss nicht um jedes Wort bereits im ersten Satz ringen, um eine Leistung zu erbringen, die mich meinem Studienabschluss näherbringt.
Diese Erkenntnis kommt nicht von jetzt auf gleich. Es hat mich viel Kraft und Arbeit gekostet, mich dahin zu bringen, wo ich heute bin. Und auch jetzt gibt es oft noch Situationen, in denen meine Versagensangst und mein Perfektionismus mir das Leben echt schwer machen. Aber ich habe gelernt, diese beiden Stimmen in meinem Kopf zu regulieren. Auch wenn sie noch da sind, sie schreien mich nicht mehr tagtäglich an, wie zwei kleine Teufelchen, die auf meinen Schultern sitzen. Ich bin stolz auf mich! Ich bin stolz auf meine Leistungen! Und das Gefühl, eine Arbeit abgegeben und sie nicht gelöscht zu haben, ist für mich mittlerweile viel mehr wert als die Note. Ich freue mich, wenn die Leistung auch mit einer guten Note honoriert wird, aber ich brauche keine 1,0 mit Sternchen und Ritterschlag mehr, um zu erkennen, dass ich nicht dumm oder unzulänglich bin. Ich bin gut, in dem, was ich tue, und ich kann stolz auf alles sein, was ich gerade mit oder trotz der kleinen Teufelchen auf meinen Schultern erreicht habe.
Hier findet ihr einen sehr interessanten und für mich hilfreichen Blogartikel, den Tyll Zybura zum Thema Perfektionismus geschrieben hat.